Tuesday, October 09, 2007

Von Barrios und Milizen

Das öffentliche Krankenhaus im Barrio Propatria

Das Krankenhaus José Gregorio im Barrio Propatria wurde in den 70er Jahren als öffentliche Anstalt gegründet. In den 90er Jahren wollte der Bügermeister Piña das Spital privatisieren. Hintergrund hierzu waren die durch den IWF auferlegten Strukturanpassungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Verschuldungskrise. Die Regierung Chávez hat diese Pläne verworfen und arbeitet an Verbesserungen im Bereich der Gesundheitsversorgung.

Die Belegschaft von 2800 Angestellten soll weiter aufgestockt werden, die technologische und Medikamenten-Ausstattung wurde bereits erheblich verbessert. Zudem sind kostenintensive Behandlungen mit besonderem technologischen Equipment seit der Regierung Chávez kostenfrei, ebenso die medikamentöse Behandlung im Krankenhaus.
Des Weiteren können gegenüber vom Krankenhaus Medikamente in der Farmacia Social (Soziale Apotheke) mit 50% und zum Teil bis zu 60% Ermässigung gegenüber dem Marktpreis erworben werden. Für Bürger ohne jegliche finanzielle Mittel besteht die Möglichkeit, die Medikamente kostenfrei bei anderen sozialen Projekten wie beispielsweise der Mision Barrio Adentro zu beziehen.

Auch für einen Sonntag, an dem nur Notfälle behandelt werden, erschien uns das Krankenhaus sehr leer. Die technische Austattung wirkte sehr professionell allerdings zeigten Mobilar und Hygienezustand noch Verbesserungsbedarf. Die Intensivstation konnte lediglich fünf Personen aufnehmen.


Das Barrio 23 de Enero

Im Gegensatz zu anderen Barrios, in denen Gewalt und Drogenhandel zunehmen, gilt das Barrio 23 de Enero als von organisierter Kriminalität befreite Zone. Das Barrio entstand in den 50er Jahren während der Diktatur von Perez Jimenez. Damals wurde es als soziales Bauprojekt mit verschiedenen Hochhaus-Wohnblocks geplant. Diese Pläne wurden allerdings wegen politischen Unruhen verworfen und die Häuser, noch unfertig in der Wasser- und Stromversorgung, besetzt. Gegenüber der Blocks war eine Grünfläche als Erholungsgebiet geplant. Da aber Wohnfläche für die arme Bevölkerung fehlte, wurde auch dieser Raum besetzt, und es entstanden eine Vielzahl an Baracken, die den angrenzenden Berg vereinahmten.
Traditionell hatte es immer eine zentrale politische Rolle gespielt, da es seither ein Zentrum des organisierten Widerstandes war. Dies begründet sich auch durch die spezielle geographische Lage, denn es liegt nur zwei Blöcke vom Präsidentenpalast entfernt.

Im Barrio 23 de Enero besuchten wir das Kulturzentrum “Coordinadora Símon Bolívar”, welches in einer ehemaligen Polizeistation, die 2005 von den Bewohnern des Barrios besetzt wurde, eingerichtet ist. Es dient somit auch als Symbol des Widerstands gegen die polizeiliche Gewalt.
Das Kulturzentrum veranstaltet ein weit gefächertes Angebot: Märkte, die Zeitung “El Desafio”, die Radiostation “Al son del 23”, Tanz- und Musikgruppen, Fußball und Boxtraining sowie Altengymnastik, Nähunterricht und Nachhilfe für Schüler.

Zudem gibt es einen sehr modernen Computerraum mit insgesamt 74 Computern. Hier werden auch Einführungskurse in die Computernutzung angeboten. Der Gebrauch der Computer sowie der Internetzugang ist jedem, der möchte, frei zugänglich. Bezahlt werden müssen lediglich Ausdrucke.


Die Reservisten

Nachdem uns die Räumlichkeiten der “Coordinadora Simón Bolivar” gezeigt wurden, kommen wir mit einem der Gründer, Juan, ins Gespräch über das Militär und die Miliz. Spontan bietet er uns an, zu Militaerreserve- und Museum zu gehen – einem gealterten Palast auf einer Anhöhe des Barrio 23. Diese Gelegenheit lassen wir uns nicht entgehen, zumal Militärgebiete ohne den entsprechenden Führer normalerweise nur nach langer Vorankündigung zu besichtigen sind.

Die Reserve wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und hat seitdem immer eine zentrale Rolle bei Putschversuchen gehabt, bei denen sich aufsässige Militärs das Gebäude als Bastion eingerichteten. Von diesem Hügel aus haben wir tatsäschlich eine hervorragende Aussicht auf den Präsidentenpalast und die Verwaltungsgebäude der Regierung.

Vom Mayor erfahren wir, dass die venezolanische Reserve über 900.000 Menschen verfügt, die in regelmäßigen Abständen geschult werden und im “Ernstfall” eingesetzt werden können. Diese Zahl entspricht einem Bruchteil des Heeres, das über ca. 100.000 Angestellte verfügt. In Zukunft sollen auch mehr Schulungen der Reservisten stattfinden.

Als wir hinausgingen, kamen wir an einer kleinen Übung einiger Reservisten vorbei, die doch recht wackelig und laienhaft wirkte. Auf den Schlachtruf “patria, socialismo”, den eine unserer Führerinnen rief, kam aber prompt ein “o muerte” zurück.
Johanna und Lena

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