Tuesday, October 09, 2007

Von Barrios und Milizen

Das öffentliche Krankenhaus im Barrio Propatria

Das Krankenhaus José Gregorio im Barrio Propatria wurde in den 70er Jahren als öffentliche Anstalt gegründet. In den 90er Jahren wollte der Bügermeister Piña das Spital privatisieren. Hintergrund hierzu waren die durch den IWF auferlegten Strukturanpassungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Verschuldungskrise. Die Regierung Chávez hat diese Pläne verworfen und arbeitet an Verbesserungen im Bereich der Gesundheitsversorgung.

Die Belegschaft von 2800 Angestellten soll weiter aufgestockt werden, die technologische und Medikamenten-Ausstattung wurde bereits erheblich verbessert. Zudem sind kostenintensive Behandlungen mit besonderem technologischen Equipment seit der Regierung Chávez kostenfrei, ebenso die medikamentöse Behandlung im Krankenhaus.
Des Weiteren können gegenüber vom Krankenhaus Medikamente in der Farmacia Social (Soziale Apotheke) mit 50% und zum Teil bis zu 60% Ermässigung gegenüber dem Marktpreis erworben werden. Für Bürger ohne jegliche finanzielle Mittel besteht die Möglichkeit, die Medikamente kostenfrei bei anderen sozialen Projekten wie beispielsweise der Mision Barrio Adentro zu beziehen.

Auch für einen Sonntag, an dem nur Notfälle behandelt werden, erschien uns das Krankenhaus sehr leer. Die technische Austattung wirkte sehr professionell allerdings zeigten Mobilar und Hygienezustand noch Verbesserungsbedarf. Die Intensivstation konnte lediglich fünf Personen aufnehmen.


Das Barrio 23 de Enero

Im Gegensatz zu anderen Barrios, in denen Gewalt und Drogenhandel zunehmen, gilt das Barrio 23 de Enero als von organisierter Kriminalität befreite Zone. Das Barrio entstand in den 50er Jahren während der Diktatur von Perez Jimenez. Damals wurde es als soziales Bauprojekt mit verschiedenen Hochhaus-Wohnblocks geplant. Diese Pläne wurden allerdings wegen politischen Unruhen verworfen und die Häuser, noch unfertig in der Wasser- und Stromversorgung, besetzt. Gegenüber der Blocks war eine Grünfläche als Erholungsgebiet geplant. Da aber Wohnfläche für die arme Bevölkerung fehlte, wurde auch dieser Raum besetzt, und es entstanden eine Vielzahl an Baracken, die den angrenzenden Berg vereinahmten.
Traditionell hatte es immer eine zentrale politische Rolle gespielt, da es seither ein Zentrum des organisierten Widerstandes war. Dies begründet sich auch durch die spezielle geographische Lage, denn es liegt nur zwei Blöcke vom Präsidentenpalast entfernt.

Im Barrio 23 de Enero besuchten wir das Kulturzentrum “Coordinadora Símon Bolívar”, welches in einer ehemaligen Polizeistation, die 2005 von den Bewohnern des Barrios besetzt wurde, eingerichtet ist. Es dient somit auch als Symbol des Widerstands gegen die polizeiliche Gewalt.
Das Kulturzentrum veranstaltet ein weit gefächertes Angebot: Märkte, die Zeitung “El Desafio”, die Radiostation “Al son del 23”, Tanz- und Musikgruppen, Fußball und Boxtraining sowie Altengymnastik, Nähunterricht und Nachhilfe für Schüler.

Zudem gibt es einen sehr modernen Computerraum mit insgesamt 74 Computern. Hier werden auch Einführungskurse in die Computernutzung angeboten. Der Gebrauch der Computer sowie der Internetzugang ist jedem, der möchte, frei zugänglich. Bezahlt werden müssen lediglich Ausdrucke.


Die Reservisten

Nachdem uns die Räumlichkeiten der “Coordinadora Simón Bolivar” gezeigt wurden, kommen wir mit einem der Gründer, Juan, ins Gespräch über das Militär und die Miliz. Spontan bietet er uns an, zu Militaerreserve- und Museum zu gehen – einem gealterten Palast auf einer Anhöhe des Barrio 23. Diese Gelegenheit lassen wir uns nicht entgehen, zumal Militärgebiete ohne den entsprechenden Führer normalerweise nur nach langer Vorankündigung zu besichtigen sind.

Die Reserve wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und hat seitdem immer eine zentrale Rolle bei Putschversuchen gehabt, bei denen sich aufsässige Militärs das Gebäude als Bastion eingerichteten. Von diesem Hügel aus haben wir tatsäschlich eine hervorragende Aussicht auf den Präsidentenpalast und die Verwaltungsgebäude der Regierung.

Vom Mayor erfahren wir, dass die venezolanische Reserve über 900.000 Menschen verfügt, die in regelmäßigen Abständen geschult werden und im “Ernstfall” eingesetzt werden können. Diese Zahl entspricht einem Bruchteil des Heeres, das über ca. 100.000 Angestellte verfügt. In Zukunft sollen auch mehr Schulungen der Reservisten stattfinden.

Als wir hinausgingen, kamen wir an einer kleinen Übung einiger Reservisten vorbei, die doch recht wackelig und laienhaft wirkte. Auf den Schlachtruf “patria, socialismo”, den eine unserer Führerinnen rief, kam aber prompt ein “o muerte” zurück.
Johanna und Lena

Friday, September 28, 2007

Von unstrukturierten Professoren und besetzten Fabriken

Montag, der 10. September 2007

Am Montagvormittag gehen wir erstmals in die Universidad Bolivariana, an der Christian Cwik Gastprofessor ist. Diese Universität wurde 2003 im Rahmen einer Bildungsinitiative von Chávez gegründet. Ziel ist es, in jedem der 334 Munizipien (vergleichbar mit Landkreisen) eine aldea universitaria (Bildungsstätte) einzurichten, wobei sich in Caracas der Hauptsitz befindet.

Die Universidad Bolivariana befindet sich in der Nähe der Universidad Central de Venezuela (UCV) in einem ehemaligen PDVSA Gebäude. Dieses wurde während des Generalstreiks 2002/2003 von der Regierung übernommen. Die Professoren, die hier unterrichten, wurden von anderen Universitäten angeworben, so dass sich hier die verschiedensten Nationalitäten tummeln. Im Jahr 2006 absolvierten erstmals Studierende ihren Bachelor. Seit jenem Jahr werden hier auch Master und Doktorgrade angeboten.
Im Gegensatz zu den anderen Universitäten werden hier verstärkt indigene Sprachen angeboten und sie ist strukturell in das politische Konzept Chávez' integriert.

ALBA versus MERCOSUR

Wir hören einen Vortrag von Gastprofessor Armando Figueiredo, der aus dem Nordosten Brasiliens stammt und u.a. in der ehemaligen Sowjetunion studierte. Sein Vortrag ist leider sehr unstrukturiert und streift das angekündigte Thema lediglich. Wir wollen hier versuchen, trotzdem die wichtigsten Punkte wiederzugeben.

Seiner Ansicht nach existieren zwei Formen der Globalisierung, eine neoliberale und eine solidarische. Der Mercosur ist eine Einheit von Nationen [Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay], die ähnlich wie die EU in ihren Anfängen einen gemeinsamen Markt zu schaffen versuchen, um durch eine Zolleinheit die Preise zu senken und somit besser mit ausländischen Produkten konkurrieren zu können. Somit ist der Mercosur, der seit 1991 besteht, das lateinamerikanische Gegenstück zur ALCA und entspricht der neoliberalen Globalisierungsform.

Venezuela, das vorher dem Andenpakt angehörte, verließ diesen, um dem Mercosur beizutreten, u.a. auch um diesen solidarischer auszurichten. Die USA, EU sowie radikale-soziale Parteien und Bewegungen aus Venezuela sprechen sich gegen diesen Beitritt aus.

Erst auf Nachfrage hin ging der Referent auf das lateinamerikanische Sozialprojekt, die ALBA (Alternativa Bolivariana de las Americas) ein. Mitglied in der ALBA und Mercosur zu sein (wie es dann im Falle Venezuelas wäre), widerspricht sich laut Figuereido nicht, da die ALBA insbesondere den sozialen Aspekt betont. Im Mercosur könnte Venezuela somit diese soziale Komponente vorantreiben.

Die besetzte Fabrik Inveval in Los Teques

Nach einer kurzen Mittagspause begeben wir uns nach Los Teques, um eine besetzte Fabrik zu besichtigen. Leider erreichen wir sie durch einen Stau erst gegen 16 Uhr, so dass wir beinahe nicht mehr herumgeführt worden wären.

Während des Generalstreiks 2002/2003 wurde die Fabrik, die Pipelineverbindungsstücke für die Erdölindustrie herstellt, vom Eigentümer geschlossen. Daraufhin begann der Kampf der ArbeiterInnen, um die Wiederaufnahme der Produktion. 2003 besetzten diese schließlich die Fabrik und erhielten für die Wiederaufnahme einen Regierungskredit, der auch jetzt noch das Einkommen der 60 ArbeiterInnen garantiert. Chávez legalisierte somit die Besetzung. Der Besitzer, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der PdVSA, wartet immer noch auf seine Entschädigung.

Ähnlich den Consejos Comunales organisiert sich die Fabrik in einem Consejo de Fabrica (Fabrikrat), der von allen ArbeiterInnen in einer Vollversammlung (asamblea), dem obersten Organ, gewählt wird. Dieser Fabrikrat unterteilt sich in verschiedene Kommissionen wie bspw. eine technische oder eine sozio-politische Kommission. Diese gelebte Form der Basisdemokratie soll landesweit in allen Fabriken angewendet werden. Hierbei wird auch Wert auf gleiches Einkommen für alle gelegt.

Die Produktionszeit beträgt zwischen fünf bis sechs Stunden. Hinzukommen zahlreiche Schulungen, die praktisch der Produktion dienen oder bspw. eine Einführung in die Betriebsleitung darstellen. Idealerweise soll die Fabrik auch mit den Kommunen zusammenarbeiten. Durch diese Zusatzbelastung entstehen laut FabrikarbeiterInnenaussage, Arbeitstage von bis zu 12 Stunden.
Unsere Gesprächspartner erscheinen uns politisch sehr gebildet.

Ein nächster Termin in der UCAB (katholische Universität) wird durch einen weiteren Stau verhindert, den wir neben dem Bus herspazierend, Bierchen trinkend und hitzige Diskussionen führend, genießen.
Autorinnen: Jana und Janina

Agrarreform auf Venezolanisch


Am 7. September 2007 besuchen wir das INTi (Instituto Nacional de Tierras), das Institut für Agrarreform. Empfangen werden wir vom Sicherheitspersonal, das hinter einem riesigen Eingangstor auf uns wartet. Aus Angst vor konterrevolutionärem Angriff fordert das Personal unsere Papiere – und filmt Herrn Prof. Zeuske für das Archiv.
Hinter einer idyllischen, grünen Anlage liegt der Bürokomplex des INTi – ein altes Herrenhaus, das vormals vom Militär genutzt wurde. Nachdem unsere Taschen die Sicherheitskontrolle überstanden haben, werden wir in einen großen Versammlungssaal geführt. Hier finden auch Fortbildungen für die ländliche Bevölkerung statt.
Über den ganzen Tag erwartet uns ein sorgfältig ausgewähltes Programm mit Vorträgen verschiedener Referenten, die uns einen ersten Eindruck über den Aufbau und die verschiedenen Funktionsbereiche des INTi verschaffen sollen. Trotz des umfangreichen Programms werden leider hauptsächlich theoretische Konzepte vermittelt, während die Probleme des Alltags – trotz Nachfrage - zu wenig Beleuchtung finden. Im Folgenden beschränken wir uns auf die zentralsten Punkte.

Historischer Rückblick
Bereits nach dem Sturz der Diktatur von Pérez Jimenez 1958 kommt es zu ersten zaghaften Versuchen einer Agrarreform. Unter dem sozialdemokratischen Präsidenten Rómulo Betancourt (Ación Democrática – AD) wird 1960 das Gesetz zur Agrarreform erlassen. Seit 1961 werden in 20 Jahren 11,5 Millionen Hektar Land an 230 000 Familien verteilt. Von einer erfolgreiche Agrarreform kann jedoch keine Rede sein, denn da die Landbevölkerung weder günstige Kredite noch weitere Unterstützung, wie etwa Ausbildung und technische Beratung erhält, und das Land zudem pfändbar und verkäuflich ist, kommt es nur wenige Jahre nach der Landreform sogar zu einer erhöhten Landkonzentration. So verfügen die Großgrundbesitzer 1958 über ca. 23% der landwirtschaftlichen Nutzfläche, während es 1988 bereits um die 42% sind. (Dario Azzellini, Venezuela Bolivariana, Revolution im 21. Jahrhundert?, Köln, 2006, S. 200.) Die Entdeckung des Erdöls Anfang des 20. Jahrhunderts wirkt sich negativ auf die venezolanische Agrarwirtschaft aus. Der Anteil der Landbevölkerung sinkt stetig, insbesondere in den 60ern und 70er Jahren, da immer weniger Landwirtschaft betrieben wird, denn es ist günstiger jede Art von Gütern zu importieren, als sie aus nationaler Produktion zu erwerben (so genannte Holländische Krankheit). Durch die starke Landflucht vergrößern sich die Elendsviertel der Großstädte.


Die Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Begünstigten der Agrarreform

Der Fokus des INTi besteht in 1. Der Demokratisierung des Landbesitzes, 2. Der Abschaffung des Großgrundbesitzes und 3. Der Volkserziehung.
Das nationale Ausbildungssystem der Produzenten und Produzentinnen des ländlichen Raumes orientiert sich an dem Konzept einer souveränen Produktivität. Dies bedeutet, dass die nationale Versorgung gewährleistet werden soll und Vorrang vor der Produktion für den Weltmarkt hat.
Als konzeptionelles Ziel steht die Selbstversorgung der kleinbäuerlichen Familien nicht im Zentrum – in der Praxis stellt sie jedoch oft den ersten Schritt dar.
Das Ziel des Ausbildungsprogramms besteht in der Steigerung der souveränen Produktivität sowie des Lebensstandards der Landbevölkerung. Kognitive Fähigkeiten und technologische Kenntnisse aus dem Agrarbereich sollen den angehenden Landwirten vermittelt werden. Der Inhalt der kollektiven Lehreinheiten besteht 1. In der Genderfrage, 2. Den alternativen Kommunikationsformen, 3. Der Konsensbildung und dem sozialistischen Zusammenleben, 4. Der Agrarökologie, 5. Formen, Mitteln und Instanzen der Partizipation, sowie 6. dem System der kommunalen Produktion.
Das INTi kooperiert mit verschiedenen staatlichen Institutionen. So mit dem Ministerio del Poder Popular para la Participación y Protección Social (Ministerium der Volksmacht für die Partizipation und den sozialen Schutz) im Bereich der Stärkung der Consejos Comunales (Gemeinderaete). Das Ministerio de Comunicación e Información (Kommunikations- und Informationsministerium) veranstaltet Seminare über den Einsatz alternativer Kommunikationsmedien (vor allem Radio) im Bereich der Fundos Zamoranos. Außerdem kooperiert das INTi mit dem FONDEMI - Fondo de Desarollo de Microfinanciero (Fonds für Mikrofinanzierung) und der Banmujer (Banco de la Mujer), der Bank der Frauen.

Auch mit der Frente Francisco de Miranda, einer Brigade zur politisch-ideologischen Bildung, arbeitet das INTi zusammen. Im Rahmen der kubanisch-venezolanischen Zusammenarbeit, ist das INDER (Instituto Nacional de Desarollo Rural) für technischen Beistand und die Vergabe von Krediten zuständig. Die UBV, die Universidad Bolivariana de Venezuela, sendet Studierende aus verschieden Bereichen zur Fach- und Gemeindearbeit.

Fundos Zamoranos
Basierend auf dem Gesetz für Land- und Agrarentwicklung (TDA) von 2001, entstehen die so genannten Fundos Zamoranos. Diese „Höfe Zamoras“ sind benannt nach Ezequiel Zamora (1817-1860), einem Widerstandkämpfer, welcher diverse Bauernaufstände anführte. Das Konzept der Fundos Zamoranos stellt für das INTi den landwirtschaftlichen Musterbetrieb dar. Ziel dieser ökonomischen Produktionseinheit ist die Reaktivierung der landwirtschaftlichen Erzeugung, durch die Eingliederung der ländlichen Bevölkerung, sowie der Indigenen in das „neue sozialistische Produktionsmodell.“
Das Kollektivbewusstsein, sowie das Leben und Wirtschaften im Kollektiv bedeuten aus Sicht des INTis das Fundament einer erfolgreichen Agrarreform. Dabei geht es zum einen um die Überlebenschancen der Kleinbauern- und Bäuerinnen. Zum anderen macht das INTi deutlich, dass es den Individualismus auch als ideologischen Wert ablehnt.
Das Ziel der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion scheint noch nicht näher gerückt zu sein. Die Produktivität ist insgesamt gesunken - im Bereich der Rinderzucht sogar um 30% in den letzten zwei Jahren. Ob dies nur eine vorübergehende, „natürliche“ Erscheinung der Veränderungen und Umstrukturierungen ist, wird die Zeit zeigen.

Das Agrarregister
Die Wichtigkeit des Agrarregisters besteht in der Konsolidierung und Zentralisierung der Informationen über die Landbesitzverhältnisse Venezuelas sowie der Regulierung derselben.
Die Geschäftsführung des Agrarregisters ist auch für die Kontrolle aller landwirtschaftlichen Gebäude sowohl staatlichen als auch privaten Besitzes zuständig. Noch in diesem Jahr soll das Register über das FENIX-System voll automatisiert werden. Unregelmäßigkeiten, wie etwa die doppelte Vergabe von Landnutzungsrechten für ein und dasselbe Land, sollen in Zukunft vermieden werden.
Bei der Bestandsaufnahme des INTi kristallisiert sich derzeit heraus, dass lediglich 20% des zuvor als privat bezeichneten Landes rechtmäßig erworben wurden. Die restlichen 80% sind daher nach neusten Erkenntnissen als staatlich zu klassifizieren. Um politische Spannungen zu vermeiden, wird dieses staatliche Land zum Teil jedoch entschädigt, obwohl dies laut Verfassung nur bei privatem Land (welches zu weniger als 80 Prozent produktiv ist) nötig wäre.

Naturressourcen
Das Ziel der Geschäftsleitung über den Bereich Naturressourcen besteht in dem Schutz der Gewässer, der Boeden, der Biodiversität und der Naturressourcen sowohl der öffentlichen als auch der privaten Ländereien. Der neue Fokus einer nachhaltigen Landwirtschaft steht hierbei im Zentrum.
In Fragen des Umweltschutzes arbeitet das INTi mit dem Ministerio del Poder Popular para el Ambiente (Ministerium der Volksmacht für Umwelt) zusammen. Die strategischen Linien des INTi bestehen dabei in der Abgrenzung von Schutzreservaten, der Förderung des rationalen Gebrauchs der Wasserressourcen über die Consejos Comunales (Gemeinderäte) sowie der Stärkung einer ökologischen Landwirtschaft. Zudem bestehen seit den 30er Jahren Waldreservate, so genannte Áreas Bajo Régimen de Administración Especial (Gebiete unter spezieller Verwaltung). Mit Bezug auf das Gewohnheitsrecht vergibt das INTi jedoch Landnutzungsrechte in diesen Gebieten.

Sind die Naturressourcen eines Nationalparks sehr fragil, kann es zu einer Umsiedlung der der Bewohner und Bewohnerinnen kommen, welche jedoch entschädigt werden.
In Venezuela bleibt letztlich viel in Sachen Umwelterziehung zu leisten, was sich unter anderem in dem großen Müllproblem der Nationalparks zeigt. Die besonders enthusiastischen jungen Vertreter der Geschäftsführung über den Bereich Naturressourcen sind jedoch der Auffassung, dass sich das Umweltbewusstsein der venezolanischen Bevölkerung langsam verbessere.

Juristische Dimension des Agrargesetzes
Eine Geschäftsleitung, die “Gerencia legal Agraria”, überwacht und koordiniert die Ausführung des Agrargesetzes.
Unter anderem kümmert sie sich um die Ausarbeitung verschiedener juristischer Instrumente, z.B. von Cartas Agrarias (Agrarbriefe), Zertifizierung von Höfen und der Deklarierung des Gewohnheitsrechtes.
Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte aus der Agrarverwaltung angeführt.

Die Agrarbriefe
Die Agrarbriefe sind ein Instrument über welches das INTi die Landbesetzung von organisierten oder nicht organisierten Campesino- Gruppen zertifiziert. Bei diesem Land handelt es sich um Eigentum des Instituts, oder solches, das zu seinem Gunsten veräußert ist (Land, dass der Regierung gehört, autonomen Institutionen, Staatsbetrieben, sowie Ressourcen, die eine Partizipation von Staats- bzw. “Sozial-“ Kapital von über 50% aufweisen) sofern dieses Land nicht genutzt wird aber fuer die Landwirtschaft geeignet ist.
Das legale Fundament der Agrarbriefe ist die Verfassung der Bolivarianischen Republik Venezuela (Art. 305, 306 und 307), sowie eine Präsidentenverordnung vom 4. Februar 2003 und eine Resulotion des INTi vom gleichen Tag.

Die Deklaration der Gewohnheitsrechte
Über die Bestätigung des Gewohnheitsrechtes garantiert das INTi Landbesetzergruppen, die bisher das Land illegal nutzen, ein Bleiberecht.

Die Deklaration von brachliegendem und unbebautem Land

Land, welches brachliegt oder unbebaut ist und somit nicht die minimalen Erfordernisse von Produktivität aufweist, kann Objekt der Enteignung, der Aneignung des INTi und der Widerrufung des Titels werden.


Zuerkennung von Land

Das Landgesetz legt fest, dass Familienoberhäupter und Alleinstehende zwischen 18 und 25 Jahren ein Anrecht auf Land haben.
Land, das Eigentum des INTi ist, wird jenen zugeteilt, die sich der Landwirtschaft widmen und die Fähigkeit aufweisen, dieses Land in produktive Höfe umzuwandeln. Die Zuerkennung garantiert jenen Interessierten das Recht der Landnutzung. Umgekehrt wird, wenn die Produktivität nicht mehr gewährleistet ist, das Land an einen Nachfolger übergeben.

Das Verfahren der Landaneignung
ist ein Verfahren, das der venezolanische Staat über das INTi für jenes Land anwendet, welches illegal oder ohne Lizenz besetzt wurde. Das Verfahren der Landaneignung wird nicht bei Land eingesetzt, das sich in bester Produktivität befindet. Trotzdem kann sich das Institut jenes Land aneignen, wenn ein besonderes soziales Interesse oder öffentliche Bedürfnisse dies erfordern.


Abschließende Bemerkungen

In dem Masse, wie die Regierung versucht tatsächliches und vermeintliches Privatland in die Agrarreform einzubeziehen, steigt der Unmut und die Gewaltbereitschaft auf Seiten der oppositionellen Großgrundbesitzer. Daher verläuft die Agrarreform in Venezuela, trotz sozialistischer Rhetorik der Staatsangestellten, äußerst schleppend. Steigende Ungeduld und Gewaltbereitschaft auf Seiten der radikaleren Landlosenbewegungen sind die Folge. Die Frage der Landverteilung und Agrarreform gehört neben der Erdölfrage zu dem wichtigsten Sprengstoff zwischen Regierung und Opposition.
Autorinnen: Johanna und Rebecca

Friday, September 14, 2007

Barrios, Mitbestimmung und die Chávez-Partei


8.9. Besuch eines Barrios

Am Samstag, den 8.9. fahren wir frühmorgens in das Barrio Catia, das an der Endhaltestelle der Metrolinie 1 liegt. Ab heute sind wir mit einer Gruppe von Studierenden aus Wien und dem Hochschullehrer Christian Cwik gemeinsam unterwegs, welcher für uns den Kontakt mit den AnsprechpartnerInnen im barrio hergestellt hat. Gemäß seines Ratschlages haben wir feste Schuhe an und keine Taschen dabei. Wir versuchen keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Nach kurzer Zeit erscheint Manuel und führt uns in sein barrio, das schätzungsweise 1,5 Millionen Einwohner zählt und sich in blocos und casas aufteilt. Das Bild des barrio wird also geprägt von riesigen freistehenden Wohnblöcken, dazwischen türmen sich sehr kleine einfache Häuser, wie es für die barrios der Städte üblich ist, liegt das Ganze an einem Hang.

Mision Barrio Adentro

Wir steigen also zunächst eine schmale, mit Müll übersähte Treppe hinauf und besichtigen als erstes ein sog. Modul der Mision Barrio Adentro, das bekannte Gesundheitsprogramm der Regierung Chávez, das kostenlose medizinische Grundversorgung bietet. Das Modul, das wir besichtigen, ist für einen der Wohnblöcke zuständig und somit für ca. 1000 bis 3000 PatientInnen zuständig. Von Montag bis Freitag kümmern sich eine Ärztin und eine Krankenschwester um bis zu 60 PatientInnen an einem Vormittag. Für diese Überlastung sorgen hauptsächlich Dengue und Infektionskrankheiten. Wir sprechen mit der kubanischen Ärztin. Hintergrund ihrer Beschäftigung ist der Fakt, dass keine venezolanischen MedizinerInnen die Arbeit in den Armutsvierteln leisten wollen und es somit zu dem Austausch venezolanisches Öl gegen kubanisches medizinisches Fachpersonal kam. Es sind vor allen Dingen kubanische Frauen, die sich dafür melden.
Die Hauptaufgaben der Gesundheitsstation außer der Behandlung von leichteren Krankheitsfällen sind der Kampf gegen Drogen, hauptsächlich Crack und Marihuana, sowie insgesamt gesundheitliche Aufklärung, die kostenlose von der Pille und Kondomen sowie pränatale Basisversorgung. Auch Opfer von Gewalt sind hier nicht selten, wobei die Fälle meist so schwer sind, dass sie ins Krakenhaus weitergeleitet werden.

Consejos Comunales (CC)

Als Nächstes steht der Besuch eines Consejo Comunales auf dem Programm, zu deutsch etwa Kommunalrat oder besser Nachbarschaftsvereinigung.
Wir werden in einen behelfsmäßig eingerichteten Kelleraum des bloco 4 geführt. Fünf Mitglieder des CCs kommen, um uns ihre Ideen und Funktionen im bloco zu erklären. Sie sind sehr freundlich zu uns und sprechen enthusiastisch und voller Überzeugung über ihr Projekt. Die CCs sind von der Regierung Chávez zunächst vorgeschlagen und sind 2006 auch gesetzlich verankert worden.
Um einen consejo zu gründen, schließt sich zunächst eine Gruppe motivierter AnwohnerInnen zusammen und versucht, die restlichen BewohnerInnen des jeweiligen Blocks oder Viertels systematisch zu erfassen. Anschließend wird eine Vollversammlung einberufen, an der jedeR über 15 Jahre teilnehmen kann. Per Mehrheitsabstimmung wird ein Rat eingesetzt, welcher aus 10 bis 20 Mitgliedern besteht. Im Laufe des Gesprächs mit den Mitgliedern des Rates erklärten diese, dass kein ideologisches Konzept hinter dem Zusammenschluss stehe, sondern dass es um die Befriedigung der konkreten Bedürfnisse der Gemeinde gehe.
Unsere GesprächspartnerInnen stellten sich als langjährige Angehörige der radikalen linken Bewegung in Venezuela heraus. Ihrer Meinung nach gab es vor Hugo Chávez keine Demokratie im Land, so dass die Linke in den Untergrund und den bewaffneten Kampf getrieben wurde.
Auf Nachfrage hin betonen sie dennoch, nicht an der Person Chávez zu hängen, dass sie auch ihn notfalls abwählen würden und dass keinerlei politisch motivierte Auslese unter den Mitgliedern passieren würde. Für sie stünden die Sozialprojekte und die Basisarbeit im Vordergrund. Im unseren Fall entstand aus der Vollversammlung als oberstes Organ in demokratischer Logik ein mit Chávez sympathisierender CC.
Da die Bürgermeisterei wenig soziale Projekte im barrio realisiert hat, fungieren jetzt die CCs als Parallelstruktur, die je nach Bedürfnissen im barrio Sozialprojekte umsetzt. Diese können hierbei von allen der Einheit zugehörigen BürgerInnen beantragt werden. Heute zum Beispiel verkündigen sie voller Stolz, dass sie einen Scheck für den Bau einer Treppe im Wohnblock erhalten werden. Bei der Realisierung bleiben sie zwar finanziell von der Bürgermeisterei abhängig, betonen aber, dass nicht sie mit der Bürgermeisterei arbeiten würden, sondern diese mit ihnen. Sie beschreiben die Anträge als relativ unbürokratisch, nicht weisungsgebunden und effizient.
Die Ratsmitglieder schienen alle über ein hohes Bildungsniveau zu verfügen und brachten uns, wie erwähnt, den Nutzen an ihrer Arbeit und auch die Begeisterung daran näher. Viele von ihnen engagierten sich schon vorher in Nachbarschaftsorganisationen.

PSUV

Den charismatischen jungen Mann mit dem Lenin-T-Shirt, der uns für ein Interview über die CCs zur Verfügung stand, treffen wir am Nachmittag in der Parteiversammlung der Partido Socialista Unido de Venezuela. Die Veranstaltung der neuen, 3-Monate-alten Partei, welche alle linken Parteien Venezuelas vereinen soll, erweist sich als nicht allzu gut besucht, die Anwesenden dafür als umso begeisterter von der eigenen Sache. Wir werden nach vorne gerufen und über Deutschland befragt, wobei unsere Antworten zu Diskussionen innerhalb der Gruppe der Deutschen führen. Bei den PSUV-Mitgliedern scheint jede Aussage nahtlos in das bestehende Weltbild einzugehen.
Es folgen Lobreden auf die PSUV als Partei, die sich von der Basis aus gründet, keine Hierarchie kennt und soziale Inklusion betreibt.
Die Zukunft wird es zeigen. Wir machen uns auf den Heimweg.
Autorinnen: Janina und Vera

Sunday, September 09, 2007

Außenhandelskammer in Caracas - Ende in zehn Jahren?


Wird es die deutsch-venezolanische Außenhandelskammer noch in zehn oder 20 Jahren geben? Mit dieser Frage beschäftigt sich momentan ernsthaft der Vorstand der AHK. Der stellvertretende Vorsitzende der AHK, Claudio Tillinger, erklärte bei unserem Treffen am Donnerstag, den 6. September: "Wenn die Privatwirtschirtschaft durch weitere Gesetze immer weiter aus dem Markt gedrängt wird, werden auch sebstverständlich unsere Mitglieder davon betroffen sein."

Momentan zählt die Außenhandelskammer 330 Mitglieder, darunter auch viele venezolanische Unternehmen, die am Handel mit Deutschland interessiert sind. Vom zunehmend von der venezolanischen Regierung betriebenenWirtschaftsprotektionismus sind vor allem die einheimischen Unternehmen betroffen. Deutsche Unternehmen wie Siemens oder Mercedes-Benz lasse man nach Angaben von Tillinger erstmal in Ruhe. Doch auch für die deutschen AHK-Mitglieder bleibt die Lage unsicher. Man weiß nicht, was er als nächstes vorhat", resümiert Tillinger. Mit "er" ist Venezuelas Präsident
Hugo Chavez gemeint. "Viele Unternehmen halten lediglich die Betriebskosten. Investitionen in den Maschinenpark werden unterlassen wegen der schwer einschätzbaren Zukunftsperspektiven." Von der Verstaatlichung sind vor allem Unternehmen in strategischen Bereichen wie dem Erdölsektor betroffen, in denen deutsche Firmen nicht anzutreffen sind. Ein weiteres Problem für die AHK-Mitglieder ist die Devisenbeschaffung. Tillinger dazu: "Neulich klagte ein Mitglied darüber, dass es deshalb die ausstehende Lieferantenrechnung nicht begleichen konnte." Gleichzeitig ist es für die venezolanischen Unternehmen schwierig, den Handelspartnern eine stabile Lieferkette zu garantieren. Das macht die Geschäfte schwierig. Die von Chavez eingeführten Gesetze zur Arbeitssicherheit haben zu Protesten auf Unternehmerseite geführt. Bei den Novellierungen handelt es sich um
Arbeitsschutz, wie er in Deutschland längst seit vielen Jahren Gang und Gebe ist. Außérdem soll die Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 Stunden bei entsprechendem vollen Lohnausgleich gesenkt werden - eine Änderung über die die AHK als Arbeitgeber alles andere als erfreut ist.
Autor: Florian

Persönlicher Kommentar von Corinna: Der Tag in der AHK war für unsere Gruppe der Auftakt unserer Studienreise und erwies sich als sehr informativ. Natürlich stellte uns Herr Tillinger die Sicht der Wirtschaftselite des Landes dar, die sich im Konflikt mit dem Wirtschaftsprotektionismus von Chavezbefindet. Wir bekamen dadurch eine bessere Vorstellung davon, welcheAkteure und gesellschaftlichen Schichten in Opposition zu Chavez stehen.Wer sich mit der ungleichen Eigentums-, Land- und Vermögensverteilung in Venezuela auseinander setzt, wird eventuell zu Recht denken, dass Chavez gut daran tut, die Privilegien der Oberschicht anzugreifen und zu beschneiden. Ob aber seine Politik, insbesondere seine Wirtschaftspolitik, zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität der Venezolaner fûhren wird, steht auf einem anderen Blatt.

Unsere Erfahrungen in den kommenden Wochen werden uns hoffentlich in die Lage versetzen, diese Frage besser beantwort zu können.

Wednesday, September 05, 2007

Oktoberfest über den Wolken

So ein Essen habe ich noch nie an Bord eines Lufthansa-Fliegers bekommen. Wir hatten die Wahl zwischen Gulasch und Bratwürsten, dazu für jeden eine Brezel. Ich hatte die Flugbegleiterin als erstes gefragt, ob der Chefkoch jetzt auf Hausmannskost steht. Nein ganz anders - das ist der Auftakt zu den Oktoberfest-Wochen bei der Lufthansa. Das war mir ehrlich gesagt etwas peinlich, weil spätestens jeder der Venezolaner um mich herum die Assoziation hat btw. meint, dass ich sowas ganz toll finde. Übrigens gingen die Bratwürste (Salchichas alemanas) vor allem unter den venezolanischen Passagieren weg wie warme Semmeln. In zwei Wochen darf dann auch noch jede Flugbegleiterin, die möchte, einen Dirndl tragen.
Ansonsten akklimatisieren wir uns hier und treffen uns heute zum ersten Mal. Das Wetter ist ein Mischmasch aus Sonne mit Regen. Der Unterschied zu Deutschland ist dabei jedoch, dass sich das alles hier immer um etwa 30 Grad abspielt.
Unschlüssig sind wir uns noch bezüglich der Unterkunft. Während einige die billigste Lösung bevorzugen, wollen andere von uns die Sicherheit nicht zu kurz kommen lassen.

Monday, September 03, 2007

Die Fahrt beginnt

Nun heißt es für die letzten aus unserer Gruppe: Rucksäcke packen und los. Am Dienstag werden mit Professor Zeuske, Lena und Florian die restlichen drei unserer elfköpfigen Gruppe in Caracas einschweben. Unser Programm beginnt am Donnerstag, den 6. September mit dem Besuch der Deutsch-Venezolanischen Außenhandelskammer. Reihum wird jeder von uns in den kommenden drei Wochen über alles, was wir vor Ort erleben werden, berichten.
Florian

Monday, June 26, 2006

Erster Test unseres Venezuela-Blogs

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

hier werden Sie demnächst Diskussionen und Beiträge zu unserem Hauptseminar "Venezuela im 20. Jahrhundert" lesen können, einem Hauptseminar des Instituts für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität zu Köln.