Friday, September 14, 2007

Barrios, Mitbestimmung und die Chávez-Partei


8.9. Besuch eines Barrios

Am Samstag, den 8.9. fahren wir frühmorgens in das Barrio Catia, das an der Endhaltestelle der Metrolinie 1 liegt. Ab heute sind wir mit einer Gruppe von Studierenden aus Wien und dem Hochschullehrer Christian Cwik gemeinsam unterwegs, welcher für uns den Kontakt mit den AnsprechpartnerInnen im barrio hergestellt hat. Gemäß seines Ratschlages haben wir feste Schuhe an und keine Taschen dabei. Wir versuchen keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Nach kurzer Zeit erscheint Manuel und führt uns in sein barrio, das schätzungsweise 1,5 Millionen Einwohner zählt und sich in blocos und casas aufteilt. Das Bild des barrio wird also geprägt von riesigen freistehenden Wohnblöcken, dazwischen türmen sich sehr kleine einfache Häuser, wie es für die barrios der Städte üblich ist, liegt das Ganze an einem Hang.

Mision Barrio Adentro

Wir steigen also zunächst eine schmale, mit Müll übersähte Treppe hinauf und besichtigen als erstes ein sog. Modul der Mision Barrio Adentro, das bekannte Gesundheitsprogramm der Regierung Chávez, das kostenlose medizinische Grundversorgung bietet. Das Modul, das wir besichtigen, ist für einen der Wohnblöcke zuständig und somit für ca. 1000 bis 3000 PatientInnen zuständig. Von Montag bis Freitag kümmern sich eine Ärztin und eine Krankenschwester um bis zu 60 PatientInnen an einem Vormittag. Für diese Überlastung sorgen hauptsächlich Dengue und Infektionskrankheiten. Wir sprechen mit der kubanischen Ärztin. Hintergrund ihrer Beschäftigung ist der Fakt, dass keine venezolanischen MedizinerInnen die Arbeit in den Armutsvierteln leisten wollen und es somit zu dem Austausch venezolanisches Öl gegen kubanisches medizinisches Fachpersonal kam. Es sind vor allen Dingen kubanische Frauen, die sich dafür melden.
Die Hauptaufgaben der Gesundheitsstation außer der Behandlung von leichteren Krankheitsfällen sind der Kampf gegen Drogen, hauptsächlich Crack und Marihuana, sowie insgesamt gesundheitliche Aufklärung, die kostenlose von der Pille und Kondomen sowie pränatale Basisversorgung. Auch Opfer von Gewalt sind hier nicht selten, wobei die Fälle meist so schwer sind, dass sie ins Krakenhaus weitergeleitet werden.

Consejos Comunales (CC)

Als Nächstes steht der Besuch eines Consejo Comunales auf dem Programm, zu deutsch etwa Kommunalrat oder besser Nachbarschaftsvereinigung.
Wir werden in einen behelfsmäßig eingerichteten Kelleraum des bloco 4 geführt. Fünf Mitglieder des CCs kommen, um uns ihre Ideen und Funktionen im bloco zu erklären. Sie sind sehr freundlich zu uns und sprechen enthusiastisch und voller Überzeugung über ihr Projekt. Die CCs sind von der Regierung Chávez zunächst vorgeschlagen und sind 2006 auch gesetzlich verankert worden.
Um einen consejo zu gründen, schließt sich zunächst eine Gruppe motivierter AnwohnerInnen zusammen und versucht, die restlichen BewohnerInnen des jeweiligen Blocks oder Viertels systematisch zu erfassen. Anschließend wird eine Vollversammlung einberufen, an der jedeR über 15 Jahre teilnehmen kann. Per Mehrheitsabstimmung wird ein Rat eingesetzt, welcher aus 10 bis 20 Mitgliedern besteht. Im Laufe des Gesprächs mit den Mitgliedern des Rates erklärten diese, dass kein ideologisches Konzept hinter dem Zusammenschluss stehe, sondern dass es um die Befriedigung der konkreten Bedürfnisse der Gemeinde gehe.
Unsere GesprächspartnerInnen stellten sich als langjährige Angehörige der radikalen linken Bewegung in Venezuela heraus. Ihrer Meinung nach gab es vor Hugo Chávez keine Demokratie im Land, so dass die Linke in den Untergrund und den bewaffneten Kampf getrieben wurde.
Auf Nachfrage hin betonen sie dennoch, nicht an der Person Chávez zu hängen, dass sie auch ihn notfalls abwählen würden und dass keinerlei politisch motivierte Auslese unter den Mitgliedern passieren würde. Für sie stünden die Sozialprojekte und die Basisarbeit im Vordergrund. Im unseren Fall entstand aus der Vollversammlung als oberstes Organ in demokratischer Logik ein mit Chávez sympathisierender CC.
Da die Bürgermeisterei wenig soziale Projekte im barrio realisiert hat, fungieren jetzt die CCs als Parallelstruktur, die je nach Bedürfnissen im barrio Sozialprojekte umsetzt. Diese können hierbei von allen der Einheit zugehörigen BürgerInnen beantragt werden. Heute zum Beispiel verkündigen sie voller Stolz, dass sie einen Scheck für den Bau einer Treppe im Wohnblock erhalten werden. Bei der Realisierung bleiben sie zwar finanziell von der Bürgermeisterei abhängig, betonen aber, dass nicht sie mit der Bürgermeisterei arbeiten würden, sondern diese mit ihnen. Sie beschreiben die Anträge als relativ unbürokratisch, nicht weisungsgebunden und effizient.
Die Ratsmitglieder schienen alle über ein hohes Bildungsniveau zu verfügen und brachten uns, wie erwähnt, den Nutzen an ihrer Arbeit und auch die Begeisterung daran näher. Viele von ihnen engagierten sich schon vorher in Nachbarschaftsorganisationen.

PSUV

Den charismatischen jungen Mann mit dem Lenin-T-Shirt, der uns für ein Interview über die CCs zur Verfügung stand, treffen wir am Nachmittag in der Parteiversammlung der Partido Socialista Unido de Venezuela. Die Veranstaltung der neuen, 3-Monate-alten Partei, welche alle linken Parteien Venezuelas vereinen soll, erweist sich als nicht allzu gut besucht, die Anwesenden dafür als umso begeisterter von der eigenen Sache. Wir werden nach vorne gerufen und über Deutschland befragt, wobei unsere Antworten zu Diskussionen innerhalb der Gruppe der Deutschen führen. Bei den PSUV-Mitgliedern scheint jede Aussage nahtlos in das bestehende Weltbild einzugehen.
Es folgen Lobreden auf die PSUV als Partei, die sich von der Basis aus gründet, keine Hierarchie kennt und soziale Inklusion betreibt.
Die Zukunft wird es zeigen. Wir machen uns auf den Heimweg.
Autorinnen: Janina und Vera

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